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outfit by designer Naima Muhammad
Die Designerin Naima Muhammad, geboren 1973 in den USA, kombiniert in diesem Outfit Camouflage
und traditionelle Muster für House of Coqueta. (Bild: Driely Carter / Fine Arts Museums of San Francisco)

Muslimische Mode ist viel mehr als Burka und Nikab

Die erste grosse Ausstellung über Mode für muslimische Frauen in San Francisco verdeutlicht, wie selbstbewusst und subversiv religiöse Kleiderordnungen heutzutage interpretiert werden.

Lilian Pfaff
Neie Zurcher Zeitung
10.10.2018, 05:30 Uhr

Modedesigner können zur Emanzipation der muslimischen Frau beitragen, das steht für das malaysische Designerduo Fiziwoo ausser Frage. Die beiden jungen Männer nähten Taschen auf das traditionelle Kostüm Baju Kurung für den Ramadan – die Trägerin soll darin offenbar Süssigkeiten für die Kinder verstauen, die traditionell nur Männer während der Festtage verteilen durften. Aber ganz so einfach lässt sich die politische und vor allem die feministische Diskussion um «contemporary Muslim fashions» nicht aus dem Weg räumen. Das de Young Museum in San Francisco setzt sich in der gleichnamigen Ausstellung jedenfalls sehr differenziert mit der Mode auseinander.

Bereits vor der Eröffnung dieser einzigartigen Schau riefen diverse Medien die Bilder ins Gedächtnis, die sie von der Verschleierung beziehungsweise dem islamischen Kleidungsstil bisweilen verbreiten – Frauen, verhüllt bis zur Unkenntlichkeit. Aber wer je einen Blick in die sozialen Netzwerke geworfen hat, konnte bereits ahnen, dass der Direktor Max Hollein mehr zeigen wird als Burkas und Nikabs. «Contemporary Muslim Fashions» ist die letzte grosse Schau, die er an der Westküste initiierte, bevor er das Metropolitan Museum of Art in New York leiten wird. Sie gibt einen Überblick über die muslimischen Modetrends der Gegenwart.

Der Einfluss der Mipster

Bloggerinnen aus dem islamischen Raum geben über ihre eigenen Youtube-Kanäle seit Jahren Anleitungen zu den verschiedenen Steck- und Sitzmöglichkeiten der Kopfbedeckung, posten Fotos von Street-Outfits auf Instagram oder stellen ihre eigene Mode über Snapchat vor. Die sogenannten Mipster haben auf diese Weise viel zur Verbreitung und Präsenz der muslimischen Mode beigetragen, so dass selbst eine der mächtigsten Modezeitschriften der Welt – die «Vogue» – schliesslich die Angst verlor, sich ebenfalls an dem rasant wachsenden Markt zu beteiligen.

Vor über zehn Jahren zögerte das Haus noch, eine Ausgabe mit Bildstrecken herauszubringen, die Frauen eben nicht halbnackt, sondern im Hijab oder in der Abaya darstellen. Eine «extrem negative Reaktion» aus dem arabischen Raum fürchtete der Firmenchef Jonathan Newhouse, wie damals durch den Leak einer E-Mail bekanntwurde, «Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung und Ausdruck von Sexualität» – alles also, was sich die «Vogue» auf die Fahnen schreibt – könnten auf «gewaltsame» Ablehnung treffen. Seit 2016 digital und seit 2017 gedruckt, gibt es sie nun doch – die «Vogue Arabia». Zur selben Zeit startete erstmals auch die Kosmetikmarke Cover Girl eine Kampagne mit einem Model, das ein Kopftuch trug – Nura Afia, die einen der erwähnten Youtube-Kanäle betreibt. Und Dolce & Gabbana lancierte seine erste muslimische Haute-Couture-Kollektion überhaupt.

selections of outfits at the Contemporary Muslim Fashions exhibit
Dieser schwarze Seidenoutfit gehört zu jenen Kollektionen, die Dolce & Gabbana
für muslimische Kundinnen auf den Markt bringt. (Bild: AP / Eric Risberg)

Längst haben grosse Kleidermarken wie Uniqlo oder Nike eigene Linien entwickelt, die tatsächlich nicht nur in Gesellschaften mit islamischen Kleidervorschriften auf Gefallen treffen: 40 Prozent der muslimischen Mode sollen mittlerweile von nicht gläubigen Frauen gekauft werden, wie es im Pressetext heisst. Die «modest fashion» besteht aus langen schlichten Kleidern, die mit ihren Trompetenärmeln offenbar für den eleganten Schwung im einfarbigen Gewand sorgen, in dem sich Frauen unabhängig von Religion und Glauben zeigen. Kaum überrascht es da, dass viele Kopftücher das Mode- und Markenbewusstsein ihrer Trägerinnen zur Schau stellen sollen: Am liebsten wird es so gebunden, dass mitten auf dem Rücken das Designerlogo zur Geltung kommt.

Selbstbewusst im Hijab

Gleich zu Beginn der Ausstellung im de Young Museum wird Mona Haydar vorgestellt, eine syrisch-amerikanische Aktivistin, die über den und im Hijab rappt. In weniger als einem Monat erreichte sie im vergangenen Jahr eine Million Klicks auf Youtube und wurde damit über Nacht zum Sprachrohr all jener muslimischen Frauen, die ihre Kopfbedeckung selbstbewusst tragen: Auf einer Reise wurde Mona Haydar von einem anderen Passagier gebeten, doch bitte nicht das Flugzeug in die Luft zu jagen. Wütend über solche Reaktionen verfasste sie den Song. Ihre Geschichte ist der erste grosse Spiegel dieser Schau, in dem solche Vorurteile gegenüber Musliminnen gebrochen werden.


So wie der Islam ein multikultureller Glaube ist, so ist auch die Kleidung nicht nur von religiösen Traditionen geprägt, sondern von weltweiten Modetrends und den ästhetischen Vorlieben aus den unterschiedlichen Regionen, das führt diese Schau eindrücklich vor Augen. Die zwei Kuratorinnen des Hauses, Jill D’Alessandro und Laura L. Camerlengo, haben gemeinsam mit der Professorin Reina Lewis vom London College of Fashion eine faszinierende Bandbreite an Kleidungsstücken von vielen jungen Designerinnen zusammengetragen – daher auch der Plural «Muslim Fashions» im Titel der Schau. In der Sport- und Freizeitmodeabteilung werden Entwürfe von Rani Hatta aus Jakarta gezeigt: schwarze, weisse und graue sportliche Sweatshirts und Anzüge, die sowohl von Frauen als auch von Männern getragen werden können; als «gender fluid» und «rebellisch» werden ihre «Sporty Luxe»-Kollektionen deshalb gerne bezeichnet. Natürlich fehlt auch der sogenannte Burkini nicht, nur ist es kaum mehr möglich, die Badebekleidung, entworfen von der kalifornischen Designerin Shereen Sabet etwa für Splashgear, von einem lässigen Surfer- oder Taucheranzug zu unterscheiden. Als Projektionsfläche für politische Diskussionen taugen diese Kleidungsstücke zumindest nach ästhetischen Kriterien nicht mehr.

a colorful silk dress designed by Mary Katrantzou
Die Ausstellung «Contemporary Muslim Fashions» im de Young Museum
in San Francisco zeigt einen Überblick über die neusten Modetrends
für muslimische Frauen. Einige Designer präsentieren ihre Entwürfe an
Schaufensterpuppen, andere werden von Models präsentiert. Dieses bunte
Seidenkleid von Mary Katrantzou trug Raquel Pascual für ein Fotoshooting,
die Schuhe sind von Malone Souliers.
(Bild: Brian Daly / Fine Arts Museums of San Francisco)

Widersprüchliche Symbolkraft

In Malaysia, einem der führenden Modemärkte, würden traditionelle Textilien mit zeitgemässen Schnitten und feministischen Ideen verbunden, das wird während einer Führung für die Presse in diesen Ausstellungsräumen immer wieder betont. Tatsächlich sind polemische Urteile hier fehl am Platz. Im wichtigsten Modemarkt, in Indonesien, war das Kopftuch politisch etwa so aufgeladen, dass es zum Zeichen des Widerstands gegen das Regime von Präsident Suharto wurde: In den achtziger Jahren trugen es die Frauen bei Demonstrationen, so dass er es in Schulen und öffentlichen Einrichtungen verbieten liess. Vorausgegangen waren gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen dem Staat und der muslimischen Bevölkerung, bei denen Frauen im Hijab als Ehefrauen von Kommunisten denunziert wurden. Erst 1991 wurde dieses Verbot gelockert und religiöse Accessoires erlaubt. Ganz anders bekanntermassen in Iran, wo unzählige Frauen im Mai 1979 auf die Strasse gingen, um gegen das gesetzlich eingeführte Verhüllungsgebot zu protestieren.

Diese widersprüchliche Symbolkraft des Kopftuchs und die damit verbundenen Entwicklungen zeigen, wie sehr die Mode des Islam von den jeweiligen moralischen und politischen Umständen geprägt ist und dass sie nicht ausschliesslich als religiöser Ausdruck für die Unterordnung der Frau gelesen werden kann. Zudem wirkt so manch eine im Westen geführte politische Diskussion über Verhüllungsver- und -gebote im Hinblick auf den globalen Absatzmarkt von 44 Milliarden Dollar heuchlerisch: Die grossen Häuser (etwa Karl Lagerfeld für Chanel) ändern ihre Kleider selbstverständlich für besondere gut betuchte Kundinnen (wie Sheikha Moza bint Nasser von Qatar) ab, verlängern die kurzen Ärmel oder die Länge und Blickdichte des glitzernden Kleides.

extravagant head wrap at the Contemporary Muslim Fashions exhibit
Extravagante Kopfbedeckung als Ausstellungsstück. (Bild: EPA / John G. Mabanglo)

Ist es ein Zufall, dass diese Ausstellung auch wie eine Ergänzung zur im Sommer eröffneten Schau über katholische Kleidung am Metropolitan Museum of Art in New York wirkt, wo Max Hollein in Zukunft Hausherr sein wird? New York plante ursprünglich, einen Überblick über die fünf Weltreligionen zu geben, über Islam, Hinduismus, Buddhismus, Christentum und Judentum. Davon wurde jedoch Abstand genommen; nun füllt Hollein die erste Lücke – genau zur rechten Zeit. Im liberalen Kalifornien leben allein in der Bay Area über 250 000 Muslime.

Kleidungsstücke für den Mann werden zwar nicht ausgestellt, dennoch darf diese Schau in diesen ressentimentgeladenen Zeiten als Aufforderung verstanden werden, sich differenziert mit seinen Nachbarn und dem Islam auseinanderzusetzen. Mode kann dafür ein Motor sein. Ein Poster in der Ausstellung zeigt eine junge Frau, die die amerikanische Flagge als Kopftuch trägt. «We the people are greater than fear», lautet der Schriftzug – nicht zuletzt ein Protest gegen Donald Trump im vergangenen Jahr, als das Poster in Washington auftauchte.

«Contemporary Muslim Fashions» ist als Wanderausstellung geplant und wird im Frühjahr nach Europa, ans Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt am Main, ziehen. Dort, so Hollein, werde sie sicherlich ganz anders rezipiert werden als in San Francisco. Warten wir es ab.

Bis 6. Januar 2019. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen, Delmonico Books, Prestel Publishing, 2018, $ 75.–.